Triggerwarnung!
In diesem Artikel werden körperliche und seelische Gewalt thematisiert.Die folgende Erzählung stammt aus dem von UN Women initiierten digitalen Raum „After August“ und wurde auf Deutsch übersetzt. Die Originalerzählung finden Sie hier.
Der Text gibt die persönlichen Erfahrungen einer in Afghanistan lebenden Frau wieder und thematisiert die Lebensumstände in Afghanistan zwei Jahre nach Machtübernahme der Taliban.
„Ich wuchs in einer gebildeten, aber konservativen Familie auf. Meine Familie hatte einen guten wirtschaftlichen Status, so dass die Arbeit von Frauen nicht als wertvoll angesehen wurde. Nach Ansicht meiner Familie sollten nur Frauen arbeiten, die einen wirtschaftlichen Bedarf haben.
Vor der Machtübernahme durch die Taliban hatte ich zwar nicht so viele Freiheiten, aber die bürgerlichen Freiheiten wurden respektiert, und ich beteiligte mich heimlich an wohltätigen und bürgerlichen Aktivitäten. Ich wollte mich in meiner Gemeinschaft nützlich machen und hatte meine Familie gerade davon überzeugt, meine Freiheit zu respektieren, so dass sich die Atmosphäre in unserer Familie besserte.
Außerdem begann ich kurz nach meinem Bachelor-Abschluss für die Regierung zu arbeiten. Meine Schwester arbeitete ebenfalls für die Regierung und half mir und vielen anderen Frauen.
Doch als die Taliban die Kontrolle über Afghanistan zurückgewannen, wurde alles auf den Kopf gestellt. Am ersten Tag des Sturzes der Regierung warnte mich mein Mann, dass es mit der Demokratie vorbei sei und dass ich nicht mehr stolz auf das Frauenministerium oder meine Schwester sein könne. Er sagte: ‚Hör auf das, was ich sage, oder ich lasse mich von dir scheiden.‘ Ich wurde vor den Augen meiner beiden kleinen Kinder mehrmals geschlagen.
Es gibt keinen Ort, an den ich mich wenden kann. Wenn ich mich an die derzeitige Regierung wende, werde ich nicht nur keine Unterstützung erhalten, sondern noch mehr Gewalt ausgesetzt sein. In Moscheen wird offen dafür geworben, dass ein Mann das Recht hat, seine Frau zu schlagen, wenn sie sein Wort nicht akzeptiert.“
ICH KANN NICHT GLAUBEN, DASS ALLE ERRUNGENSCHAFTEN FÜR DIE RECHTE DER FRAUEN AM 15. AUGUST IN EINEM HALBEN TAG VOR DEN AUGEN DER INTERNATIONALEN GEMEINSCHAFT ZERSTÖRT UND VERBRANNT WURDEN, UND DASS DIE AFGHANISCHEN FRAUEN HEUTE IMMER NOCH BRENNEN. DIE WICHTIGSTE VERÄNDERUNG IN MEINEM LEBEN UND IN DEM VON MILLIONEN VON MÄDCHEN UND FRAUEN IN MEINEM LAND NACH DEM AUGUST IST, DASS JETZT VERZWEIFLUNG ÜBER UNSERE SEELEN HERRSCHT.
„Mit der Unterstützung der internationalen Gemeinschaft und der Verfassung konnten die afghanischen Frauen in kurzer Zeit in allen Bereichen große Erfolge erzielen. Doch heute wird die Menschlichkeit der afghanischen Frauen sogar in Frage gestellt.“
FRÜHER WAR ICH EINE TRÄUMERIN, ABER JETZT SIND MEINE TRÄUME UND HOFFNUNGEN BEGRENZT. ICH DENKE, ES WÄRE EIN WUNDER, WENN SICH EINES TAGES DIE TORE DER SCHULEN UND UNIVERSITÄTEN FÜR FRAUEN UND MÄDCHEN WIEDER ÖFFNEN WÜRDEN. DIE AFGHANISCHEN FRAUEN LEBEN IM MOMENT NICHT, SIE VERSUCHEN NUR ZU ÜBERLEBEN. ICH HABE EIN STARKES GEFÜHL DES MISSTRAUENS. IN DER VERGANGENHEIT HABE ICH MEINE GEFÜHLE IN DEN SOZIALEN MEDIEN MIT MEINEN FREUND*INNEN GETEILT, ABER HEUTE HAT SICH DIE ATMOSPHÄRE DER ANGST UND DES MISSTRAUENS SO SEHR VERTIEFT, DASS ICH MEINEN SCHMERZ NICHT MIT MEINEN FREUND*INNEN TEILEN KANN. ICH HABE MICH NOCH NIE SO ALLEIN GEFÜHLT.
„Viele Male habe ich beschlossen, meinem Leben ein Ende zu setzen, aber ich denke an das Schicksal meines Sohnes.
Der Entzug des Rechts auf Arbeit und Bildung hat die psychischen Probleme stark beeinträchtigt und zu Depressionen geführt.“
STELLEN SIE SICH EINE GENERATION IN DER DEPRESSION VOR. DIESE GENERATION WIRD DIE MÜTTER DER ZUKUNFT SEIN. DIE KINDER VON HOFFNUNGSLOSEN UND DEPRIMIERTEN MENSCHEN SIND GEFÄHRLICH FÜR DIE ZUKUNFT AFGHANISTANS.
„Das Einzige, was man in dieser Situation tun kann, ist, mit den Taliban zu verhandeln. Solange der interne Konflikt andauert, wird sich Afghanistan auf einem gefährlichen Weg befinden, und Entbehrung und Armut werden weitere Probleme schaffen.
Was wir uns von der internationalen Gemeinschaft wünschen, sind praktische Maßnahmen. Wir müssen einen echten Dialog über Afghanistan und über die Rechte der Frauen beginnen.“