COVID-19 und Geschlecht: Was wissen wir? Was müssen wir wissen?

Ein Beitrag von Laura Turquet und Sandrine Koissy-Kpein,
übersetzt und adaptiert von Katharina Kleinoscheg

Die durch das Coronavirus (COVID-19) ausgelöste globale Krise verschärft sich rasch, und Forscher und politische Entscheidungsträger bemühen sich, Daten zu sammeln und zu analysieren. Damit die Auswirkungen auf die betroffenen Länder und Gebiete erfasst werden kann – über 2.56 Millionen bestätigter Fälle.

COVID-19 ist eine dringende Gesundheitskrise, die jedoch massive globale soziale und wirtschaftliche Auswirkungen haben wird, die auch in den kommenden Jahren nachwirken werden. Genaue Daten werden von entscheidender Bedeutung sein, um die vollständigen Auswirkungen der Pandemie auf verschiedene Personen, Gemeinschaften und Volkswirtschaften zu erfassen und politische Reaktionen zu informieren.

Selbst wenn neue Daten und Erkenntnisse gesammelt werden, sind Hinweise auf die unterschiedlichen Auswirkungen von Frauen und Männern bereits aus der bestehenden Geschlechterforschung sowie aus Lehren aus früheren Krisen ersichtlich. Diese bieten eine Richtline, welche Daten benötigt werden, um geschlechterspezifische Auswirkungen zu vermeiden. Zusammen bieten diese einen Leitfaden dafür, welche Beweise jetzt gesammelt werden müssen. Frühere Krisen zeigen, dass eine one-size-fits-all Modell nicht ausreicht.

Erfassung der unmittelbaren gesundheitlichen Auswirkungen

Erste Daten zeigen, dass Männer häufiger an COVID-19 sterben als Frauen. Forscher warnen jedoch davor, dass die Daten unvollständig und länderübergreifend inkonsistent sind und mit Vorsicht behandelt werden sollten. Mit genaueren Daten kann es auch sein, dass einige Gruppen von Frauen besonders gefährdet sind.

Verteilung von Ärzten und Krankenschwestern nach Geschlecht

Frauen machen weltweit 70% der Beschäftigten im Gesundheitswesen aus. 80% des Krankenpflegefachpersonals sind Frauen, die aufgrund ihrer Arbeit besonders engen und langen Kontakt mit den Patienten haben.

Es ist daher vielleicht nicht verwunderlich, dass es in Spanien mehr als doppelt so viele Fälle von COVID-19 bei weiblichen Beschäftigten im Gesundheitswesen gab wie bei ihren männlichen Kollegen.

Die gesundheitlichen Auswirkungen können sich auch auf andere Weise auf Frauen auswirken. Die Ebola- und HIV-Krise haben gezeigt, dass Frauen als unbezahlte häusliche Pflegekräfte einspringen und, wenn die Gesundheitssysteme versagt. Dies hat häufig verheerende Auswirkungen auf die Gesundheit dieser Frauen.

Da der Fokus derzeit auf die Fähigkeiten des Gesundheitssystems zur Bewältigung der COVID-19 Krise gerichtet sind, müssen anderen lebenswichtige Dienste von denen Frauen abhängig sind umso genauer im Auge behalten werden. Während der Ebola-Krise stieg zum Beispiel die Müttersterblichkeit in Westafrika aufgrund mangelnder geburtshilflicher Grundversorgung an.

Hindernisse für den Zugang von Frauen zur Gesundheitsversorgung müssen bei der Gestaltung politischer Maßnahmen berücksichtigt werden. Nicht alle Frauen haben das alleinige Entscheidungsrecht bei Fragen zu ihrer eigenen Gesundheit. Eine Stichprobe von 57 Entwicklungsländern zeigt, dass weniger als ein Viertel der Frauen angibt, selbst Entscheidungen bei Fragen zu ihrer Gesundheit treffen zu dürfen. Dies ist nur ein Beispiel für diskriminierende soziale Normen.

Krankenversicherungsschutz und Armut in den USA: Die Kluft zwischen Arm und Reich

In Ländern, in denen für die Gesundheitsversorgung Auszahlungen oder Versicherungen erforderlich sind, wird Frauen aus den ärmsten und am stärksten marginalisierten Gruppen wahrscheinlich die lebenswichtige Versorgung entzogen. In den USA beispielsweise hatte 2018 mehr als ein Drittel (34%) der aus Lateinamerika stammenden Frauen im ärmsten Quintil keinen Zugang zu einer Krankenversicherung, verglichen mit 3,6% der weißen Frauen im reichsten Quintil.

Wie in früheren Krisen berichten Aktivistinnen auf der ganzen Welt von einer weiteren schwerwiegenden Bedrohung für die Gesundheit von Frauen: den steigenden Raten von Gewalt in der Partnerschaft. Millionen von Menschen sind gezwungen in ihren Häusern zu bleiben oder sich selbst zu isolieren, dadurch sind viele Frauen mit den Tätern gefangen. Frauenorganisationen werden eine wichtige Quelle für Daten und Informationen darüber sein, was erforderlich ist, um wichtige Dienste für Überlebende zu erweitern. Lesen Sie mehr über diese Schattenpandemie.

Versorgerinnen an der Spitze der Krise

Über die Gesundheitskrise hinaus führt COVID-19 schnell zu einer Versorgungskrise. Das Gesundheitspersonal steht derzeit zu Recht im Rampenlicht, aber die Frauen der Welt investieren täglich Milliarden von Stunden – sowohl bezahlte als auch unbezahlte -, um die Fortsetzung des täglichen Lebens zu ermöglichen.

Frauen machen zwei Drittel der weltweit bezahlten Pflegekräfte und die Mehrheit der bezahlten Pflegekräfte für ältere Menschen aus, sowohl in Einrichtungen als auch in häuslicher Pflege. Diese Niedriglohnempfänger müssen den politischen Entscheidungsträgern sichtbar gemacht werden, um sicherzustellen, dass ihr Beitrag geschätzt und geschützt wird, auch mit Zugang zu knapper persönlicher Schutzausrüstung.

Frauen leisten auch den größten Teil der unbezahlten Pflegearbeit in Heimen auf der ganzen Welt, eine Arbeitsbelastung, die sich verschärft hat. Dies schließt ältere Frauen ein, die sich um gebrechliche Partner und Enkelkinder kümmern. Für diejenigen Frauen, die von zu Hause aus arbeiten können, hat das plötzliche Home-Schooling zu einer doppelten (oder dreifachen) Arbeitsbelastung geführt. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass mit großem Ausmaß und Genauigkeit Daten zur unbezahlten Pflegearbeit von Frauen erfasst wird, damit während der Krise, aber auch längerfristig die Leistungen anerkannt und unterstützt werden können.

Geschlechtsspezifische wirtschaftliche Auswirkungen

Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation könnte die Pandemie zwischen 5 und 25 Millionen Arbeitsplätze kosten. Genaue Daten und gezielte Maßnahmen werden deshalb erforderlich sein, damit die wirtschaftlichen Auswirkungen nicht unverhältnismäßig stark von Frauen getragen werden.

Weltweit waren 2019 58,2 % der Frauen im Dienstleistungssektor beschäftigt, in Nordamerika, in der Europäischen Union, in Lateinamerika und in der Karibik waren sogar 80 % oder mehr. Dies umfasst Kinderbetreuung, Einzelhandel, Gastgewerbe und Tourismus, die von den derzeitigen Beschränkungen besonders betroffen sind. Der weit verbreitete Verlust von Arbeitsplätzen wird langfristige Auswirkungen auf die wirtschaftliche Unabhängigkeit und Sicherheit von Frauen haben.

Ein großer Teil der Beschäftigung von Frauen entfällt auf die informelle Wirtschaft, einschließlich Hausarbeit, Arbeitsplätzen ohne Arbeitsrechte und sozialem Schutz, mit fehlender Gesundheitsversorgung, Krankenurlaub oder Arbeitslosengeld. In Indien arbeiten zum Beispiel mehr als 90 % der Menschen in der informellen Wirtschaft, beispielsweise im Straßenverkauf. Wie bei freiberuflichen Arbeitskräften mit hohem Einkommen führen Sperren zur Verhinderung der Ausbreitung von Krankheiten dazu, dass diese Arbeiter ihren Lebensunterhalt nicht verdienen können.

Alternative Daten, beispielsweise von verschiedenen Organisationen und Netzwerken, könnten genutzt werden, um offizielle Daten zu ergänzen. Damit könnten Strategien und Programme unterstützt werden, um die wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Krise im weiteren Verlauf zu mildern.

Geschlechtsspezifische Daten als Grundlage für Antworten

Währen Ländern mit dieser Krise konfrontiert sind, sollten die Bemühungen zur Bekämpfung der Pandemie keine Rückschritte in der Gleichstellung der Geschlechter darstellen. Die Fortschritte der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung hängen von politischen Entscheidungen ab, die für die Zukunft einer gleichberechtigten und widerstandsfähigen Gesellschaft, bedacht getroffen werden müssen. Forscher und politische Entscheidungsträger müssen aus der Vergangenheit lernen und das Sammeln und Berichten von Daten aufgeschlüsselt nach Geschlecht und anderen sozioökonomischen Merkmalen, priorisieren, damit marginalisierte Frauen nicht noch weiter zurückgelassen werden.

Der Women Data Hub von UN Women hat sich aus diesem Grund das Ziel gesetzt, die besten verfügbaren Geschlechterspezifischen Analysen und aktuellen Datensätze zusammenzustellen, um die wichtigen globalen Bemühungen zu unterstützen.

Hier der Link zur Datenbank, um aktualisierte Geschlechtsdaten zur Krise zu erhalten:

https://data.unwomen.org/data-portal