Bei unserer ersten digitalen Round Table Veranstaltung am 23.06.2020 durften wir drei Expertinnen vom Österreichischen Roten Kreuz (ÖRK), Mag.ª Gabriela Poller-Hartig, Mag.ª Andrea Reisinger und Lisa Taschler, MA,  begrüßen, die den weltweiten COVID-19-Einsatz der Rotkreuz-Bewegung aus Genderperspektive beleuchteten.

Frau Poller-Hartig, Leiterin der Stabsstelle „Internationale Beziehungen“, gab uns einen Überblick über die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung (RCRC Movement) und ihre drei Komponenten. Während das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) seine Delegierten in Konfliktgebieten zu Einsätzen entsendet, werden die der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) weltweit hauptsächlich bei Naturkatastrophen und Pandemien tätig. Als größtes humanitäres Netzwerk weltweit mit lokaler und globaler Vertretung verfügt die Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung über 191 nationale Rotkreuz-und Rothalbmondgesellschaften sowie 14 Millionen Rotkreuz-Freiwillige.

Frau Reisinger, Leiterin der Abteilung „Internationale Katastrophen und Krisen“, berichtete über die Operationen, die bezüglich des internationalen Hilfsaufrufs zu COVID-19, durchgeführt werden, deren Finanzierung sich auf circa 2,9 Mrd. € beläuft.

Eine wesentliche Aufgabe kommt den nationalen Gesellschaften zu, die in einer ersten Phase versuchen, einerseits die Erkrankungen gering zu halten und dafür auf Kampagnen wie „Schau auf dich, schau auf mich“ setzen und andererseits den Erkrankten durch medizinische Versorgung und den Aufbau von Isolationszentren zu helfen. In einer zweiten Phase sollen die sozio-ökonomischen Auswirkungen der Pandemie möglichst eingedämmt werden in Form von Hilfsgütern und Cash (Geldspenden). Dabei werden sie verstärkt in Konfliktgebieten gemeinsam mit dem IKRK tätig bei der Unterstützung von Krankenhäusern, medizinischen Einrichtungen und auch an dicht bewohnten Orten, wie in Flüchtlingslagern.

Die spezifischen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie sind für Frauen sehr weitreichend, wie uns Frau Poller-Hartig veranschaulichte. Durch die Anbindung an das Eigenheim werden schon bestehende Ungleichheiten und Abhängigkeitsverhältnisse verstärkt, zudem ist ein deutlicher Anstieg an häuslicher Gewalt zu beobachten. Arbeitsverlust und die damit verbundene wirtschaftliche Not machen mehr Frauen zu Opfern sexueller Ausbeutung und von Menschenhandel. Aus einer reinen Gesundheitskrise wird eine multidimensionale Krise mit schwerwiegenden wirtschaftlichen, psychologischen und sozialen Folgen.

Außerdem kommt Frauen in manchen Ländern, in denen ihre Bewegungsfreiheit generell kulturell eingeschränkt ist, weniger Sichtbarkeit zu, was ihren möglichen Zugang zu Informationen erheblich mindert. Abgesehen davon, sind Frauen in höherem Ausmaß einem gesundheitlichen Risiko ausgesetzt, da sie vermehrt im Gesundheits- und Pflegebereich tätig sind und sich eher der Pflege von erkrankten Angehörigen widmen.

Die IFRC versucht dieser Situation durch das Festlegen von PGI (protection, gender, inclusion) Minimum Standards und dem Grundsatz der Sicherstellung von Würde, Zugang, Teilhabe, Sicherheit und Schutz für alle entgegenzuwirken. Diese sollen durch Bekämpfung von Diskriminierung und Stigmatisierung ebenso wie durch eine Inklusion von Frauen in allen Sektoren bewerkstelligt werden.

Die Teilhabe soll einerseits durch Förderung von Frauen in Entscheidungspositionen im humanitären Umfeld und andererseits durch ihre Einbeziehung in Programmen sowie Entscheidungsprozessen garantiert werden. Ein allgemeiner Zugang zur Information wird beispielsweise durch Ausstrahlung in „Community radio“ ermöglicht, das ÖRK setzt auf eine Aufschlüsselung von Daten nach Geschlecht, Alter und Behinderung.

Das ÖRK, das nach Frau Reisinger über eine besondere technische Expertise im Bereich Wasser, Sanitär und Hygiene verfügt, nimmt bei der Menstruationshygiene durch eine individuelle Verteilung Rücksicht auf die Würde und die besonderen Bedürfnisse von Frauen und Mädchen. Getrennte Latrinen sollen den Frauen Schutz vor sexueller Gewalt gewährleisten und bei der Aufstellung von Einsatzteams wird auf eine ausreichende Repräsentation von Frauen und Minderheiten geachtet.

Frau Taschler, die mit dem libanesischen Roten Kreuz vor Ort arbeitet, erzählte uns von ihrem Einsatz und der aktuellen Situation im Libanon.

Im Libanon, in der es die weltweit höchste Flüchtlingszahl pro Kopf gibt und der besonders vulnerabel ist aufgrund seiner prekären wirtschaftlichen Lage und einer schwachen Infrastruktur, sind die Auswirkungen der Pandemie sehr unterschiedlich.

Frauen sind stärker armutsgefährdet, da viele, die im informellen Sektor und als Tagelöhner beschäftigt waren, ihre Arbeit verloren haben, aber mit keiner Unterstützung vom Staat rechnen können. Hinzu kommt, dass sie öfters alleinerziehend sind. Gleichzeitig lastet auf ihnen eher die Verantwortung für Haushalt und Pflege von kranken Familienmitgliedern.

Nicht nur zahlreiche Flüchtlinge, sondern auch viele Arbeitsmigranten überfüllen Unterkünfte und können seit der Schließung des Flughafens nicht zurückkehren. Unter diesen Bedingungen ist die Einhaltung eines Mindestabstands schwer möglich. Mangels ausreichender Möglichkeiten ist auch die Einhaltung von Hygienemaßnahmen größtenteils unrealisierbar.

Aufgrund der Ausgangssperren sind Frauen erhöht von häuslicher Gewalt betroffen, gleichzeitig bleibt ihnen der Zugang zu Information und Gesundheitsdiensten oft verwehrt, da sie diesbezüglich oft von ihren männlichen Familienmitgliedern abhängig sind.

Das Rote Kreuz führt kontinuierliche Bedarfsanalysen durch und stellt zur Gewährleistung der PGI Standards online Informationsmaterialien für Kinder und Erwachsene sowie psychosoziale Dienste über Hotlines und online zur Verfügung. Zur Deckung von Grundbedürfnissen werden Geldleistungen und Hygienepakete unter Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Bedürfnisse verteilt. Des Weiteren gibt es safe spaces in Quarantäneunterkünften. Auch werden für die MitarbeiterInnen und Freiwilligen temporäre Unterkünfte und psychosoziale Unterstützung bereitgestellt.

Bezüglich der PGI Minimum Standards und der Referenzdokumente des IFRC können Sie mehr hier lesen: https://go.ifrc.org/